Sie hat es gehasst, wenn jemand zu spät kam

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Normalerweise brauche ich für die vierzehn Kilometer bis zum Bestattungshaus, wo die Trauerfeier stattfinden sollte, fünfzehn Minuten. Zwanzig Minuten wenn alle Ampeln rot sind, was aber so gut wie nie vorkommt. Heute habe ich eine Stunde gebraucht und wenn Klajde nicht gewesen wäre, vielleicht wäre ich nach eineinhalb Stunden endlich angekommen. Ich fahre zu einer Trauerfeier immer sehr zeitig weg. Man weiß ja nie, wie der Verkehr ist. Ich fahre aber auch keine zwei Stunden vorher weg, eine halbe Stunde Puffer reicht völlig aus, um die Angehörigen zu begrüßen, die Reihenfolge der Musikstücke nochmal abzugleichen und ein kleines Schwätzchen mit den Bestattern zu halten.

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Kein Vorankommen

Ich weiß nicht was los war, jedenfalls ging schnell gar nichts mehr. Die Minuten zeronnen, fünf Minuten vor Beginn der Feier war ich immer noch fünf Kilometer von meinen Ziel entfernt. Ich war Teil einer Autoschlange, die sich Meter für Meter vorwärts schob. Die Trauerfeier sollte um 14.00 Uhr beginnen. Wie kommt man am schnellsten durch die Stadt, wenn die Blechlawine, die sich auf sämtlichen Straßen durch die Stadt wälzt, mehr steht als sich bewegt? Mit dem Fahrrad! Also kurbelte ich mein Seitenfenster runter und quatschte Fahrradfahrer an, ob sie mir ihr Fahrrad leihen würden, so für zwei Stunden ungefähr. Ich muss zu einer Beerdigung. Ja, ich muss dahin, ich bin die Rednerin, die warten schon alle auf mich. Beim dritten Fahrradfahrer hatte ich Glück. Ich glaube, er hat gar nicht richtig verstanden, warum ich es so eilig hatte. Er sprach kein deutsch, nur etwas englisch.

Also Auto abgestellt, mich auf sein Fahrrad geschwungen, in der Tasche ein Zettel, auf den er eilig seine Adresse gekritzelt hatte, er bekam meine Visitenkarte. Das wars. Mit fünfzehn Minuten Verspätung bog ich in den Hof des Bestattungshauses ein. Den Leuten, die im Hof standen winkte ich zu, stellte das Fahrrad ab und krempelte meine Hosenbeine wieder herunter. Alles im Lot, ich hatte ja durchgegeben, dass ich später komme. Ein Trauergast bog gerade um die Ecke, war wohl dersselbe Stau.

Die anderen saßen die ganze Zeit bei leiser Hintergrundmusik um den Sarg herum. Sie warteten auch die Minuten ab, bis mein Puls wieder unten war und ich mich fähig fühlte, mit der Trauerfeier zu beginnen. Es war eine sehr persönliche Feier. Die Verstorbene hatte selbst die Lieder und die Texte ausgesucht. Sie hatte sich viel Stille für ihren Abschied gewünscht. Es werde im Allgemeinen sowieso viel zu viel geredet, hatte sie gesagt. Zweimal fünf Minuten Stille sollten es bei ihrer Abschiedsfeier sein. Ich hatte mit den beiden Töchtern noch vereinbart, dass ich nicht auf die Uhr schauen werde. Fünf Minuten können manchmal sehr lang sein. Wenn die Trauergäste anfangen mit den Hufen zu scharren, so war die Absprache, beende ich die stille Zeit. Jetzt hatte die Verstorbene sogar gute zwanzig stille Minuten, in der alle ihre Lieben um sie herum versammelt waren. Großartig. Irgendjemand sagte dann noch, dass Frau B. es immer gehasst habe, wenn jemand zu spät kam. Da sag ich jetzt gar nichts weiter dazu.

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Mein Retter Klajde und ich

Zum Kaffeetrinken hinterher bin ich nicht mehr mitgegangen. Ich musste ja das Fahrrad noch zurückbringen. Der Stau war immer noch an Ort und Stelle. Die angegebene Adresse war nicht weit vom meinem Auto entfernt. Ich radelte fröhlich an all den stehenden Autos vorbei und wusste, nachher werde ich wieder Teil der Blechkolonne werden. Meinen Retter fand ich, er saß zusammen mit seiner Familie vor einem Wohncontainer. Ehrlich, ich habe das nicht erfunden, um eine Geschichte von einem hilfsbereiten Flüchtling erzählen zu können. Es war einfach so. Der Geldschein, mit dem ich mich erkenntlich zeigte, fand schnell seinen Weg in die Jackentasche. Ich habe mit der Familie noch einen Kaffee getrunken, ein wenig erzählt, radebrechend auf Englisch ging das ganz gut. Eine Arbeit habe ich leider nicht für die Familie. Dafür erntete ich ungläubiges Staunen, als ich zu erklären versuchte, womit ich mein Geld verdiene. So etwas wie bezahlte Trauerredner, die nichts mit der Religion zu tun haben, scheint es bei ihnen nicht zu geben. Die Fahrt nach Hause dauerte dann nochmal fast eine Stunde. Ich bin später, aber nicht zu spät angekommen.

6 Kommentare auf “Sie hat es gehasst, wenn jemand zu spät kam”

  1. Das ist eine der Geschichten, die eigentlich tatsächlich nur das Leben schreiben kann. Und die selbst einen Tod recht lebendig erscheinen lässt …
    Meine Geschichte wäre sie nicht – ich kann nicht Fahrrad fahren …

  2. Starke storie, so unglaublich wie wahr und wer hätte nicht hundert zu eins darauf gewettet, das dein Helfer womöglich kein Deutscher Staatsbürger sein werde! Und Hut ab vor Deinen Nerven, und dem Gelächter der Toten im Sarg, die „Zu-spät-Kommen hasste“ ….

  3. Birgit Aurelia Janetzky sagt:

    Meine Geschichte hat sogar Eingang in den Zeitungsartikel der Badischen Zeitung zum Megastau gefunden, da muss irgendjemand diesen Blog lesen…

    http://www.badische-zeitung.de/freiburg/mega-stau-in-freiburg-baustellenplaner-haben-feiertagsansturm-vergessen–112238584.html

  4. Sabine Eller sagt:

    Eine sehr besondere und auch sehr schöne Geschichte – die das Leben da so gespielt hat!!!

    • Birgit Aurelia Janetzky sagt:

      Ja, das war schon ein besonderer Tag. Die Frau, die auch später kam, hatte einen Wunsch in den Himmel geschickt, dass irgendetwas passiert, dass sie es noch rechtzeitig schafft…

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