Medienprofi macht auf ewig – stayalive.com

“Facebook für Tote” oder “Social Network für Zombies” wird das neue Portal StayAlive bereits betitelt. Der 9.11. war groß angekündigt. Hinter dem neuen Portal stehen der  Internet-Unternehmer Matthias Krage und der ehemalige Focus-Chefredakteur Helmut Markwort, zwei Medienprofis mit dem nötigen Kleingeld, einen solchen Medienhype um das Anschalten einer Webseite zu veranstalten.

Noch am Vormittag war nichts zu sehen außer der Meldung “Freuen Sie sich auf ein neues Portal”. Online war die Seite dann am gestrigen Abend. Im Stil und Funktionalität der Community-Plattform Facebook aufgemacht, verspricht das Angebot “digitale Unsterblichkeit”. Aber “ewig” bleibt nur, wer zahlt. Sechs Monate kann man probeweise unsterblich sein, danach ist die Unsterblichkeit nicht so billig zu haben.  Nach Ablauf Probezeit kostet die Gedenkstätte 19,90 Euro im Monat, bzw. 499 Euro “für immer”, was real bedeutet: bis jemand jemand die Gedenkstatte löscht, bis die Seite abgeschaltet wird und ganz ketzerisch: solange es Zugang zum Internet gibt und die Stromversorgung gesichert ist.

stayalive

Machen wir uns nichts vor. Jeder Mensch stirbt. Früher oder später. Etwas Lebendiges kann sterben. Daten können im Internet ein gewisses “Eigenleben” entfalten, sterblich sind sie jedoch nicht. Was als Unsterblichkeit beworben wird, ist die Konservierung digitaler Zeichenfolge von Nullen und Einsen, die sich in Bilder und Texte von und über einen Menschen dechiffrieren lassen.

Trauerportale sind ein Markt, den einige Unternehmen und Medienhäuser für sich erschließen wollen. In den USA scheint es zu funktionieren, in Deutschland tummeln sich zahlreiche Anbieter auf dem Markt, mit mehr oder weniger modernen Konzepten. Neu bei Stayalive ist der konsequent durchgezogene Community-Gedanke. Wenn es funktioniert, wird mit der Zeit ein Netzwerk der Toten entstehen, mit ein paar mutigen Lebenden, die die digitale Nähe der Toten nicht scheuen.

Die Werkzeuge sind nicht neu, sie sind bereits verstreut bei anderen Anbietern zu finden: Community-Funktionen, ein Baukasten für die Erstellung einer individuellen virtuellen Gedenkstätte mit Fotos und Videos, ein virtueller Tresor für digitale Hinterlassenschaften, die Anzeige des Friedhofs mit dem realen Grab auf GoogleMaps oder ein Tool, mit dem ein Stammbaum erstellt werden kann. Neu ist also nur die Verknüpfung der Funktionen auf einer Plattform.

Stayalive-Gründer Krage meint, dass vorhandene Online-Trauerportale wie Emorial oder Trauer.de “die alte Welt ins Internet übertragen”. Stayalive versucht die Funktionsweise von Facebook auf den Tod zu übertragen. Das ist eine gnadenlose Überschätzung der Mechanismen, die im Internet wirken. Den aktuellen Medienhype nutzt man am besten, sich Gedanken über die eigene Internetnutzung und den eigenen (unausweichlichen) Tod zu machen.

Ob ich mir einen Account bei Stayalive zulege? Wohl eher nicht. Ich will nicht einmal probeweise unsterblich sein.

Autor: Birgit Aurelia Janetzky
Datum: Mittwoch, 10. November 2010 12:11
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4 Kommentare

  1. 1

    Liebe Frau Janetzky,

    vielen Dank für die ausführliche Vorstellung des neuen Dienstes. Ehrlich gesagt, ist mir ein Schauer über den Rücken gelaufen, als ich mir die Kurzeinführung des Portals angeschaut habe. Grundsätzlich finde ich die Möglichkeit sich zu verewigen nicht schlecht. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob die virtuelle Ewigkeit was bringt.
    Worauf ich aber schon neugierig bin ist, wie will sich die Plattform vor Spaßmachern, Spinnern und sonstigen Spezies, die sich in Netz tummeln, schützen. Dadurch, dass man gar nicht tot sein muss, um sich über das Portal zu präsentieren, kann es sich zu einer Bühne für Selbstdarsteller entwickeln.
    Ich werde in jedem Fall die Entwicklung beobachten aber sicher keine Konto für die Ewigkeit anlegen. Das Pflegen meiner Daten in Netz zu Lebzeiten reicht mir völlig aus.

    Herzliche Grüße
    Hedwig Seipel

  2. 2

    Liebe Frau Janetzky, liebe Frau Seipel,

    mir scheint es dort möglich zu sein, über irgendjemand eine Seite anlegen zu können. Da habe ich wohl was übersehen?

    Herzliche Grüße

    Agnes Hümbs

  3. 3

    Hallo,

    im ersten Moment ist man erstaunt, welche Denkansätze im Internet möglich sind und ist sich nicht immer sicher diese einzuschätzen. Ich habe mir viele Gedanken dazu gemacht und bin der Meinung, dass dies vollkommen legitim ist und auch diese Art der Beerdigung das Andenken an Personen fördert.

    Churchill sagte bereits: “Ich will beerdigt werden, wie ich gelebt habe!”

    Nach diesem Motto wollen vor allen zukünftige Generationen auf diesem Weg zeigen was Sie geliebt und verehrt haben. Dazu gehört nun einmal auch das Internet und seine Social Networks.

    Sehr gelungener Beitrag. Danke

  4. Birgit Aurelia Janetzky
    Mittwoch, 17. November 2010 12:00
    4

    Danke für Ihre Kommentare

    @ Fr. Hümbs, Fr. Seipel – zur Frage der unkontrollierten Anmeldung: man kann für irgendeinen realen oder fiktiven Namen eine Seite anlegen. Allerdings ist bei der kostenfreien Probeversion die Angabe der mobilen Telefonnummer notwendig, was ein wenig abschrecken dürfte, denn man bleibt damit nicht anonym.

    @ Harald – sicher wird die “Generation Internet” in Zukunft das Andenken vermehrt ins Internet verlagern. Meine Fragen sind, ob wir dazu eine quasi religiöse Begrifflichkeit wie “Unsterblichkeit” oder “Ewigkeit” brauchen und ob zur Sterblichkeit des Menschen nicht auch der Aspekt der Vergänglichkeit von Daten gehört.

    Herzliche Grüße,
    Birgit Aurelia Janetzky

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